Und plötzlich Change-Manager

Kultur ist mehr als die Summe ihrer Teilnehmer. Sie ist ein unsichtbares Bindeglied und stärker als jedes teilnehmende Individuum.

Wir bekamen während unserer Vorbereitungen auf das Buch und durch unsere Workshops Einblicke in diverse Firmen. Wir besuchten sie und lernten sie kennen. Große und namhafte Global Player waren ebenso dabei wie kleine und weitgehend unbekannte Mittelständler oder auch neu gegründete Start-ups.

Wir waren auch Teil von Kulturwandelprozessen und konnten diese beobachten. Auf eine Funktion kommt es bei Veränderungsprozessen immer besonders an: auf den Change-Manager. Change-Manager kann eigentlich jeder werden, der sich dazu berufen fühlt. Manchmal wird einem diese Aufgabe auch einfach zugeteilt. Eine schöne Aufgabe, die aber mehr ist als die Summe ihrer Arbeitsergebnisse. Wir skizzieren ein mögliches Szenario.

Change!

Nach vielen Jahren der Stabilität und Beständigkeit im Unternehmen kam mit dem neuen Geschäftsführer der Change. Eigentlich hatten sich alle darauf gefreut, alle wollten ihn, alle sahen ein und wussten auch, dass sich nach so vielen Jahren etwas verändern musste. Nun war er da und kaum jemand konnte mit ihm, dem Change, umgehen.
Oder besser gesagt, auch bei dieser guten Basis verlief er ganz klassisch. Frederick war ein Teil davon, und das im doppelten Sinne. Denn er durchlebte den Change als Person nicht nur selbst, sondern sollte ihn auch gestalten, übersetzen, begleiten – als Change-Manager innerhalb einer neu gegründeten Business-Development-Abteilung. Bestehend aus einem kleinen interdisziplinären Team sollte diese neue Abteilung nun als Keimzelle des Change Geschäftsmodelle und neue Produkte entwickeln. Sie sollte die Organisation wettbewerbs- und zukunftsfähig machen, den Change kommunikativ begleiten und die Unternehmenskultur mitgestalten.

Anscheinend hatte er wohl einiges richtig gemacht, sein Team gut motiviert, Ängste abgefangen, gemeinsam mit ihm neue Ideen entwickelt und versucht, in die Umsetzung zu bringen. Das hat ihm Spaß gemacht. Nun sollte er das auch für das gesamte Unternehmen versuchen. Gemeinsam in seinem neu zusammengestellten Team und mit unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten. Nun gut. Aber wie? Wie geht man das an? Wie verändert man eine Unternehmenskultur hin zu mehr Quervernetzung und Open Innovation? Alles Fragen, die ihn die Stirn runzeln ließen.
Natürlich war er motiviert, er freute sich auf die neue Aufgabe, aber gleichzeitig hatte er Sorgen und Ängste. Er suchte nach einem Vorbild, nach jemandem, der ihm sagte, was zu tun ist, was er machen soll, wie er es machen soll und bis wann. Aber da war niemand. Eine Weiterbildung? Kein Geld und dauert zu lange. Es blieb ihm nur ein Weg: Er fing einfach mal an.
Zunächst versuchte er, sich ein Bild davon zu machen, wie er diese Position ausfüllen wollte, wie sein Selbstverständnis war, seine Haltung zu den Mitarbeitern, zum Geschäftsführer, zu den alten Kollegen und zum neuen Chef. Aber es ging nicht, weil er seine Aufgaben und sein Ziel nicht kannte.

Veränderung braucht Vorbereitung

Also nahm er sich Zeit, um anzukommen und sich ein grobes Bild zu machen von Changemanagement. Google war seine Anlaufstelle und erste Hilfe.

Ein Wahnsinn, was das Internet so bereithält und wie schnell er dort auf die Basis- und Kernaussagen gestoßen ist:

  • Change verläuft immer gleich
  • Ängste und Gegenwehr sind normal
  • Jeder Change durchläuft dieselben Phasen
  • Es ist alles kein Hexenwerk

Er konnte seinen eigenen Change, den er auch als Mitarbeiter durchlebte, einordnen, klassifizieren und als normal bewerten. Das half ihm und seinem Team, um den jetzigen Standpunkt der Organisation zu bestimmen. Die Mitarbeiter verteilten sich offenbar emotional auf der Achterbahn der klassischen acht Phasen eines Wandlungsprozesses: Überraschung, Schock, Ablehnung, Einsicht, Akzeptanz, Trial and Error, Erkenntnis, Integration. Die meisten befanden sich auf den ersten sechs Stufen mit einer deutlichen Häufung im Stadium Ablehnung, wie eine Umfrage des Betriebsrates ergab.

Natürlich war er motiviert, er freute sich auf die neue Aufgabe, aber gleichzeitig hatte er auch Ängste.

Für sein Business-Development-Team kam als nächste Aufgabe die Einführung des mit einem externen Berater erarbeiteten Leitbilds in die Mitarbeiterschaft. Es sollte aber nicht einfach verkündet werden und auch nicht ohne die Mitarbeiter erarbeitet werden. Frederick fragte sich, wie das gehen sollte. Es folgte noch mehr Recherche im Internet. Doch jetzt brauchte und wollte er noch detailliertere Informationen, schließlich war es sein eigenes Konzept. Die Buchhandlung war hilfreicher als Google. Mit fünf Kilo Büchern kam er zurück. Viel zu viele, viel zu dicke und einige von ihnen vielleicht auch zu veraltet. Dennoch gab ihm die Sichtung mehr Sicherheit, alles wiederholte sich und die kleinen Unterschiede waren uninteressant. Schließlich wollte er keine wissenschaftliche Arbeit schreiben, sondern seine Arbeit machen. Noch mehr Recherche brachte nichts, denn das Konzept, das auf sein Unternehmen passen und idealtypisch einfach übertragen werden könnte, war so nicht zu finden. Es musste individuell gestrickt werden. Die vielen Beispiele anderer Change-Projekte, die er gelesen hatte, hatten schon einiges an Ideen, Abläufen und Erfolgsfaktoren aufgezeigt. Jetzt mussten diese Einzelelemente auf das eigene Unternehmen übertragen werden. Alle Recherche genügte irgendwann nicht mehr, und auch der Austausch im Team hatte seine Grenzen. Sie brauchten mehr Informationen, und sie brauchten sie von außen. Sie waren auf der Suche nach einem Austausch mit Menschen, denen es ging wie ihnen, die ihnen weiterhelfen und Impulse geben konnten. Doch wo trifft man sie, wie baut man sich ein eigenes Netzwerk auf? Durch einen Zufall wurde eine Unkonferenz, ein Barcamp, der Kristallisationspunkt.

Veränderung braucht ein gutes Netzwerk

Auf einem Barcamp trifft man Menschen, die Open Innovation leben und vorleben. Querdenker und Andersdenker, vielleicht auch Vordenker. Das kommunikative Format zieht je nach Thema eine wilde Mischung von Experten an, Innovationsmanager, Erfinder, Personalentwickler, Consultants, Methodiker, Marketer, Projektleiter, Trendscouts. Auf jeden Fall kommt man in unkonventioneller Atmosphäre leicht auf der „Du-Ebene“ in Kontakt mit interessanten Menschen, die kommunikativ und austauschbereit sind und ihr Wissen gern teilen. Schnell war ein effektiver Wissens- und Erfahrungsaustausch mit Menschen hergestellt, welche die Arbeitsweise und Kultur, die das Team ins Unternehmen tragen sollte, lebten. Der Anfang für ein neues Netzwerk war gemacht und entwickelte sich wie im Dominoeffekt fast von allein weiter. Endlich hatte er ein Gefühl dafür, was gelebte Open Innovation sein sollte. Die Sessions auf dem Barcamp hatten ihn auf viele für das eigene Team relevante Themen und Methoden gestoßen, die er weiterverfolgen wollte: Design-Thinking, Gamification, World-Café, 6-3-5-Methode und vor allem der Business-Model-Canvas. Alles Input, den er ins Unternehmen tragen wollte. Im Workshop lernte er die Grundzüge der Methodik, wendete sie gleich in der Gruppenarbeit an und wusste sofort, für welche Projekte er sie im Unternehmen einsetzen konnte. Schnell war das interne Team, das sich gerade mit einer neuen Produktidee beschäftigte, eingeladen und aufgefordert, mittels des Canvas die Produktidee mal durchzuspielen. Nach einer kurzen Einführung in die Methode entstand eine spannende und konstruktive Diskussion, die durch die Struktur des Canvas auch für ihn als Anfänger leicht zu moderieren und zu gliedern war. Das Pilotprojekt war gelungen und die Intention, die Gruppe als Multiplikator im Unternehmen zu nutzen, geglückt, denn im Anschluss kamen die ersten vereinzelten Anfragen nach dieser Methode und einer Moderation seitens seines Teams. Endlich hatte er für sich einen Sprach- und Darstellungsmodus für neue Geschäftsideen gefunden, der auch schnell von allen anderen verstanden wurde.

Was also tun, wenn man plötzlich Change-Manager ist?

1.) Ruhe bewahren 6.) Vorbild und vorbildlich sein
2.) Recherchieren und Know-how aufbauen 7.) Botschafter und Multiplikatoren suchen und motivieren
3.) Mentoren suchen zur Selbstreflexion, zur Statusbestimmung und fürs Selbstbild 8.) Kommunizieren, kommunizieren, kom­munizieren
4.) Learning by doing. Einfach mal anfangen, Fehler machen und daraus lernen. 9.) Ruhe bewahren. Es kommt anders, als man denkt.
5.) Sich mit Gleichgesinnten austauschen und ein Netzwerk aufbauen 10.) Distanzieren. Man selbst ist nicht der Change.

Auf ähnliche Weise versuchte Frederick durch persönliches Vorleben und durch Einbeziehung von Mitarbeitern neue Methoden, neue Denkweisen, wertschätzende Kommunikation und konstruktive Kritik ins Unternehmen zu tragen. Sein Team suchte sich Multiplikatoren, die diese Erfahrung und vielleicht auch Methodik weitertrugen. Das war zum Beispiel eine Strategiegruppe „Interne Kommunikation“. Bestehend aus freiwilligen Mitarbeitern aus allen Geschäftsbereichen, widmete sich diese Gruppe dem Problemfeld von Transparenz und Kommunikation im Unternehmen. Ziel war es, dass gemeinsame bereichsübergreifende Lösungen erarbeitet werden, die von den Mitarbeitern wieder in die Teams zurückgetragen und gelebt werden sollten.

Mut zu neuen Wegen und eine veränderte Fehlerkultur sind eine Mammutaufgabe auf dem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur.

Ein direktes Feedback mit Optimierungsvorschlägen würde so gleich wieder in die Arbeitsgruppe zurückgespielt werden können. Nach den ersten leichten und offensichtlichen Themenfeldern, wie der Entwicklung eines bereichsübergreifenden Berichtswesens und der Bildung einer Arbeitsgruppe „Besprechungskultur“, versuchte er sich mittels eines kleinen abgewandelten World-Cafés den schwierigen Kernfeldern zu widmen: wertschätzende Kommunikation, Zusammenarbeit, Offenheit, Prozesse, Kompetenzen und Zuständigkeiten. Auch hier stand wieder der Versuch im Vordergrund, durch neue Methoden den Veränderungsprozess aktiv mitzugestalten und sowohl durch konstruktive Kritik als auch Ideengenerierung ein neues offenes Mindset ins Unternehmen zu tragen. Ist es Frederick gelungen? Nicht immer. Haben er und seine Kollegen Fehler gemacht? Ganz sicher! Ist alles nachhaltig umgesetzt worden? Auf gar keinen Fall. Aber auch das ist ein Teil des Change-Prozesses, wie er ihn vorleben wollte, und zwar immer auch mit dem Hinweis: Frederick und seine Kollegen haben das zum ersten Mal gemacht. Sie haben mal geschaut, ob es klappt und was daraus wird.

Wenn es nichts geworden wäre, dann hätten sie daraus gelernt und anders weitergemacht. Mut zu neuen Wegen und eine veränderte Fehlerkultur sind eine Mammutaufgabe auf dem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur.

Veränderungen beginnen beim Individuum

Grundsätzlich war seine Erfahrung, dass zu Beginn des Prozesses die Mitarbeiter einen extremen Gesprächsbedarf hatten, nach Orientierung suchten, die Situation analysierten, aber gleichzeitig auch keine Lösungen oder Antworten hatten. Sie suchten jedoch eine Möglichkeit, ihre Kritik, Wünsche, Ideen und Sorgen loszuwerden. Ein Ohr zu sein und ein Ohr zu haben, aktiv zuzuhören, reicht manchmal schon und hilft dem Mitarbeiter. Er selbst musste für sich lernen, dies nicht zu persönlich zu nehmen, eine innere Distanz hierzu zu wahren und nicht die Verantwortung für alle Missstände auf sich zu übertragen oder gar als sofortigen Auftrag zur Lösungsfindung für sich anzunehmen. Das war für ihn gar nicht so leicht und hat ihn durch einige Täler und Reflexionsschleifen geführt. Ihm hat der Austausch mit einem Mentor geholfen, den er für sich aus den Reihen der Kollegen gesucht hatte und der bereits viele Erfahrungen als Trainer, Moderator und Leiter einer Unternehmensentwicklung hatte.

Der Austausch mit anderen war für Frederick und sein Team von zentraler Bedeutung in seiner Veränderungssituation. Er musste den Kontakt zu Externen suchen, um sich selbst und die eigene Situation zu reflektieren und auch zu erfahren, dass es anderen in ähnlichen Situationen genauso erging. Auch andere werden in Projekte gesetzt, in denen sie als indirekte Führungskräfte agieren sollen und als Schnittstelle zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeiterschaft fungieren. Sie alle haben Probleme mit ihrer Unerfahrenheit, mit dem Know-how-Aufbau, mit der veränderten Stellung und Integration in der Mitarbeiterschaft und dem Ziel, trotzdem Vorbild einer neuen Unternehmenskultur zu sein. Frederick wurde aber auch immer deutlicher, dass er nicht mehr als Kollege unter Kollegen angesehen wurde, sondern die Position auch seine Beziehungsebenen zu Kollegen veränderte.

Die Nähe zur Geschäftsleitung verschaffte ihm Respekt und Gehör für die Dinge, die er sagte und tat. Er lernte aber auch sehr bald, dass diese neue Stimme sehr schnell einen offiziellen Charakter bekommen kann und nicht als die eigene persönliche Meinung wahrgenommen wird, sondern als die der Geschäftsleitung. Person und Position verschmelzen für den Mitarbeiter manchmal, man wirkt wie ein Sprachrohr zwischen den Welten, worauf man sich erstmal einstellen muss. Frederick hat sich einen diplomatischeren Sprachmodus angeeignet und macht stets deutlich, wann er als wer spricht. Gleichzeitig ist es ihm wichtig, authentisch zu bleiben, auf seine eigene individuelle Art zu vermitteln und vorzuleben, damit er als Person mit eigenen Ansichten wahrgenommen werden kann. Er ist nicht der Change, er hat die Entscheidung für die Veränderung nicht getroffen, sondern begleitet sie nur und gestaltet sie zum Wohle des Unternehmens und der Mitarbeiter.

von Dirk Murschall, Stefanie Krügl, Daniel M. Richter