HR wird zukünftig nur auf Augenhöhe wahrgenommen, wenn es Innovationen fördert und selbst innovativ wird.
Clayton M. Christensen (US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler; Forschungsschwerpunkt: Innovation in Unternehmen; Veröffentlichung: „The Innovator’s Dilemma“, 1997) zeigt in seinen Untersuchungen, warum großartige Unternehmen im Wettbewerb um Innovationen versagen, obwohl sie „eigentlich“ alles richtig machen. Eine Facette des Dilemmas ist, wenn Unternehmen nur nach den vorherrschenden Managementmethoden handeln. Eine Funktion im Innovator’s Dilemma, die Innovationen nicht treibt, sondern sie verhindert, ist HR. Können Sie sich eine Welt ohne Internet, Mobiltelefon, Wikipedia, Google, Facebook oder Amazon vorstellen? Nein? Vor weniger als 20 Jahren war das Realität. Der technologische Fortschritt hat unser Kommunikationsverhalten revolutioniert. Er hat Marktkräfte auf den Kopf gestellt und neue Branchen hervorgebracht.
Zudem wurde der Begriff der „Wissensgesellschaft“ geprägt – einer Welt, in der sich das Informationsvolumen exponentiell entwickelt und ein Aspekt mehr und mehr in den Vordergrund rückt: der Mensch! Plötzlich ist es möglich, mit reiner „Brainpower“ und minimalem finanziellen Einsatz Millionen, ja Milliarden zu verdienen oder politische Systeme zu brechen. Die Veränderungen greifen in die Strukturen und Prozesse von Unternehmen hinein und haben zur Folge, dass der Schnittstelle „Mensch zu Mensch“ eine neue Bedeutung zukommt. In diesem Kontext liegt es mehr denn je auf der Hand, dass HR-Abteilungen ihre Rollen, Aufgaben und Skills überdenken. Tun sie dies aber auch wirklich entsprechend den Dimensionen, in denen Märkte sich verändern?
Kernaussagen
• Damit HR auf Augenhöhe mit dem Business agieren kann, reicht es nicht aus, das eigene System zu optimieren, vielmehr muss Grundlegendes verändert werden.
• Individualisierung und Vernetzung sind Folgen des durch die Digitalisierung hervorgerufenen Wertewandels in der Gesellschaft. Dieser Entwicklung muss die Personalabteilung verstärkt Rechnung tragen.
• HR muss aktiv am Aufbau des Enterprise 2.0 beteiligt sein und als Enabler der agilen Transformation eine Innovationskultur verankern. Agile Methoden, die den User und die Geschwindigkeit in Innovationsprozessen in den Mittelpunkt stellen, sind Kernwerkzeuge einer modernen HR-Abteilung. Sie muss die Voraussetzungen für ein vernetztes Innovationsmanagement schaffen und Innovationsformate etablieren.
Wo stehen HR-Abteilungen heute?
Das Ziel der Personalabteilung heute ist es, in einer aktiven Rolle in enger Zusammenarbeit mit dem Business zu operieren. Dafür ist es notwendig, gutes Know-how über interne Geschäftsprozesse und Marktverständnis zu besitzen. Der Anspruch, „inhaltlicher und strategischer Sparringspartner des Business“ zu sein, bedeutet, auf Augenhöhe mit dem Business zu agieren.
Die Herausforderung für Personalabteilungen ist es dabei, dass sie transaktionale Prozesse (Payroll, Reporting etc.) bis ins Detail beherrschen müssen und gleichzeitig als HR-Business-Partner das Management unterstützen und fordern. Unterstützung wird nur akzeptiert, wenn die Personalabteilung das Geschäft und die Märkte ihrer internen Kunden versteht. Fordern kann man nur jemanden, wenn man sich selbst gefordert hat. Nur zu selten tritt die HR-Abteilung aus ihren alten Pfaden und tradierten Tugenden hervor und schafft, um in der Innovationssprache zu bleiben, disruptive Innovationen.
Es gibt keine radikalen Veränderungen der eigenen Funktion und deren Services, es gibt zu wenig konstruktive Gedanken, keine Infragestellung der eigenen Rolle. Im Gegenteil, wie eh und je wird gejammert, HR sei nicht auf Augenhöhe und werde vom Business nicht wie gewünscht akzeptiert. HR optimiere lediglich an ihrem bisherigen System, ändere aber nie wirklich Grundlegendes oder gebe ihr Kerngeschäft auf – eben ein typisches Innovator’s Dilemma. Die Tatsache, dass von 182 Vorstandsposten in den DAX-30-Konzernen nur sieben HR-Vorstandspositionen sind, zeigt die Symbolkraft und Priorität der HR-Funktion.
Wohin sollte HR sich bewegen?
Der technologische Fortschritt als wichtiger Treiber für den HR-Bereich muss um eine gesellschaftliche Komponente erweitert werden. Unterstützt von neuen technischen Möglichkeiten beschleunigt sich der Wertewandel in westlichen Gesellschaften. Als unmittelbare Folge nehmen die Aspekte „Individualisierung“ und „Vernetzung“ einen immer größeren Stellenwert ein. Dieser Entwicklung müssen Personalabteilungen in Zukunft verstärkt Rechnung tragen, indem Prozesse und Dienstleistungen individueller und zugleich einfacher werden.
Die Zeiten des tradierten Silodenkens müssen der neuen Produktivität der Vernetzung weichen.
Neue Managementmethoden halten mit irrer Geschwindigkeit Einzug in die Unternehmen. Enterprise 2.0 verändert radikal die Dialogkultur zwischen Mitarbeitern, Management, Kunden und Partnern. Crowd-Innovation involviert Massen in Innovations- und Entscheidungsprozesse. Durch Open Innovation nach außen, mittels Enterprise 2.0 nach innen. CoCreation und Collaboration ist ein Credo der neuen Generation. Agile Methoden, die den User und die Geschwindigkeit in Innovationsprozessen in den Mittelpunkt stellen (Scrum, Kanban, Design-Thinking, Lean Start-up, Business-Model-Generation, Visual Facilitating, Barcamps usw.), müssen schnell zu den Kernwerkzeugen einer modernen HR-Abteilung werden. Eine Erfolg versprechende Innovationskultur umfasst nach meinen Erfahrungen mindestens drei Bestandteile – Vernetzung, Prozesse, Skills.
1. Das vernetzte Unternehmen
Um Innovationspotenzial über die bisher bekannten Massen hinaus heben zu können, müssen Unternehmen ihre Mitarbeiter vernetzen. Das ist das Einmaleins von Enterprise 2.0 – alle Akteure, Mitarbeiter, Führungskräfte und Vorstände müssen über eine einheitliche soziale Infrastruktur miteinander arbeiten und kommunizieren können. Nur dann sind Experten findbar und wird Wissen sichtbar. Da Wissen zu 80 % an Menschen hängt und nicht an Dokumenten, ist die Notwendigkeit von „social“ immanent. Stellen Sie mittels sozialer Technologien Ihre Mitarbeiter in den Vordergrund, und Sie heben ungeborgene Wissensschätze. Die Zeiten des tradierten Silodenkens müssen der neuen Produktivität der Vernetzung weichen.
2. Innovationsmanagement ist Prozessmanagement
Innovationen passieren im Unternehmen nur in den seltensten Fällen per Zufall. Es müssen die Rahmenbedingungen stimmen, zum Beispiel die entsprechenden Tools vorhanden sein, die notwendigen Skills der Mitarbeiter aufgebaut, die gewünschten Messgrößen definiert und eine ausreichende Wertschätzung für kreative Arbeit gelebt werden. Innovationsprozesse benötigen dedizierte Steuerer, zum Beispiel ein Ideenmanagement, das der permanenten Verbesserung von bestehenden Prozessen im Unternehmen dient. Erst wenn eine harte Verankerung von Innovationsprozessen in der Organisation spürbar ist, sich Innovation in den Zielen der Mitarbeiter wiederfindet und sich bestmöglich ihr Gehalt in Bestandteilen danach richtet, hat man eine gute Grundlage für Innovationen.
3. Innovationskultur entsteht nur durch Verhaltensänderung
Trotz aller sozialen Technologien ist Innovationsmanagement in erster Linie verhaltensbedingt. Die Untersuchungen zum Innovator’s Dilemma zeigen uns: Es fehlt den Managern meist der Mut, sich radikal selbst zu kannibalisieren, zu lernen zu vergessen, das Unternehmen für Innovationen von außen zu öffnen oder harte Messkriterien für Innovation zu setzen. Vielen Mitarbeitern fehlen Skills, Innovationen zu entwickeln oder Entwicklungen zu begleiten.
Manchmal fehlt ihnen schlicht und ergreifend die Erkenntnis, warum Innovationen ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden soll, wenn der Umsatz doch vergleichsweise so niedrig zum Kerngeschäft ist. Diese Erkenntnisse gelten vor allem für HR.
Lösung und Ansätze für HR-Innovation
Enterprise 2.0 ist der Beschleuniger für Innovation und muss für HR zur Pflichtdisziplin werden. Ein zum Enterprise 2.0 transformiertes Unternehmen hat alle technischen und kulturellen Voraussetzungen, um die genannten Aspekte umzusetzen. Für jeden Innovationsbaustein ist Vernetzung mit den Akteuren, Offenheit und Transparenz nicht nur eine Tugend, sondern zwingende Voraussetzung. Bausteine eines vernetzten Innovationsmanagements in einem Enterprise 2.0 können zum Beispiel folgende sein:
1. Outside-in-Innovation
• | Partnermanagement: Entwicklungen und Produkte dritter Partner, die nicht selbst entwickelt werden, sollen schnell ans Unternehmen zu binden sein (M&A, Joint Venture, Lizenzpartnering, Kooperationen) |
• | Incubation: kleine, zarte „Pflänzchen“, sogenannte Start-ups, in einer eigenen Struktur aufbauen, fördern und im Markt etablieren |
• | Speedboats: sind Ausgründungen von vielversprechenden Produkt-/Serviceideen in eigene Unternehmen. Speedboats können nur Speed aufnehmen, wenn sie sich der schwerfälligen Infrastruktur eines gediegenen Unternehmens entledigen können. |
• | Open Innovation: bedeutet, in jedem Schritt der Produktentwicklung zu prüfen, wann externe Stakeholder, Kunden oder Partner mit in die Produktentwicklung einbezogen werden können |
2. Inside-out-Innovationen
• | Intrapreneurship: ist das Prinzip der Incubation, nur mit den Ideen der eigenen Mitarbeiter. Diese sollen mit ihrem Know-how, ihren Markt- und Unternehmenskenntnissen und ihrer Leidenschaft für ein Thema neue Geschäftsfelder aufbauen, neue Produkte oder Services entwickeln. |
• | Ideenmanagement: ist die kontinuierliche Verbesserung von Prozessen durch das Know-how der Mitarbeiter. Communitybasiertes Ideenmanagement, also das gemeinsame Erarbeiten und Bewerten von Ideen, ist die Antwort eines Enterprise 2.0 auf serielle „One-to-one“-Prozesse eines klassischen Ideenmanagements. |
• | Innovationskampagnen: sind dedizierte Kampagnen für einen bestimmten Geschäftsbereich, genießen hohe kommunikative Aufmerksamkeit und können in kurzer Zeit viele Menschen und deren Energie auf ein Innovationsthema lenken |
• | Innovation-Jams: sind digitale Innovationskonferenzen mit bis zu vielen Tausenden / Zehntausenden von Mitarbeitern in einem Zeitraum von 48-72 Stunden |
HR muss es als Zukunftskompetenz ansehen, ein Enterprise 2.0 aufzubauen bzw. die Transformation zu unterstützen. Dabei ist der wichtige Aspekt der Vernetzung zu berücksichtigen. Erst die Dichte eines Netzwerkes und die Aktivität der Akteure ermöglichen es, ein Netzwerk mit Innovationsformaten, wie oben beschrieben, „zu bespielen“. Solange die Voraussetzungen dieser neuen Unternehmenskultur nicht geschaffen sind, wird man entkoppelt vom Rest des Unternehmens mit wenigen ausgewählten Innovatoren agieren – es fehlt dann die „Power from within“, es fehlt das Potenzial der Crowd-Innovation.
Etablieren Sie ein Corporate Social Network. Dies ist ein Informations- und Kommunikationssystem, in dem Sie kollaborativ arbeiten, in dem Nutzer durch persönliche Profile repräsentiert sind, sich gegenseitig kontaktieren sowie sich via Microblogs oder Instant Messaging austauschen können. Darüber hinaus gibt es bekannte Social-Media-Features wie Wikis, Gruppenbildung, Blogs, Eventabwicklung, Projektmanagement, Bilder und Video-Upload und Statusmeldungen. Der Activity-Stream eines Users ist das zentrale Element eines Social Networks – das Profil die digitale Identität eines Mitarbeiters.
Die nackte Wahrheit
Moderne Unternehmen und mutige Führungskräfte, die dem Wandel der Zeit aktiv begegnen, beschäftigen sich in den letzten fünf bis sechs Jahren mit der Transformation zu einem Enterprise 2.0. Eine Studie von Gartner Research zeigt, dass 2016 rund 50 % der größeren Unternehmen Social Software eingeführt haben werden. Davon werden nach Erkenntnissen der Studie aber 80 % die Ziele, die damit verfolgt werden, nicht erreichen. Diese Erkenntnis kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung nur teilen. Die häufigsten Fehler, die ich sehe, sind folgende:
• E 2.0 ist reines Abteilungsthema und keine Unternehmens-Transformation
• Das Topmanagement wird nicht abgeholt und agiert nicht als E-2.0-Vorbild
• E 2.0 hat keinen Bezug zur Unternehmensstrategie
• E 2.0 wird als IT-Projekt gesehen und endet mit der Einführung von Software
• E 2.0 wird als Pilot angefangen und erreicht keine kritische Masse
• Piloten werden in Abteilungen/Bereichen gemacht und verlassen nicht die Silos
• Es sind keine ausreichenden Social Projectskills vorhanden
• Es fehlt die Methodenkompetenz, mit „Social“ und „Agile“ umzugehen
Die Studie zeigt vier Kernfaktoren, die für die Transformation zu einem Enterprise 2.0 nötig sind.
1. | Es geht um Unternehmens- und Organisationsentwicklung, nicht um Einführung von Software |
2. | Es braucht ein neues Führungsverhalten |
3. | „Neues Arbeiten“ muss gelernt werden |
4. | Neue Arbeitspraktiken und Bedarfe der Menschen müssen zuerst verstanden werden, um sie zu verändern |
Diese vier Kernfaktoren sind ureigene HR-Themen. Daher darf sich HR nicht länger aus der Verantwortung nehmen und muss endlich als Treiber für Enterprise 2.0 auftreten.
Enterprise 2.0 ist der Beschleuniger für Innovation und muss für HR-Abteilungen zur Pflichtdisziplin werden.
Wie setzt HR das nun um?
Die Aufgabe von HR ist die Übersetzung der Business-Herausforderungen von morgen auf die Führungsherausforderungen von heute. Enterprise 2.0 bedeutet ein neues Design von Organisationen und Leadership – darin ist Orientierung gefragt.
Nachfolgend skizzieren wir unser Vorgehensmodell in fünf Stufen. In diesem Modell liegen rund zehn Jahre Erfahrung von Experten aus Technologie, Organisation, Changemanagement, Kommunikation, Marketing, Sales, Strategie und agilen Entwicklungsmethoden. Unser Vorgehensmodell, „5 Schritte auf dem Weg zur Enterprise 2.0“, ist ein bewährter Wegweiser, den viele unserer Kunden einsetzen, um die Transformation zum Enterprise 2.0 zu planen, zu messen und umzusetzen.
Was muss HR nun tun?
Meine vier Empfehlungen zur Entwicklung von HR als zukünftigem Innovationspartner für das Business.
1. | HR muss Enterprise 2.0 treiben: Enterprise 2.0 ist die moderne Organisations-, Leadership-, Technologie- und Dialogstruktur eines Unternehmens. Dichteste Vernetzung aller Mitarbeiter, Partner und Kunden sowie größtmögliche Transparenz und Offenheit als Basis für den nächsten Innovationssprung. „Fünf Schritte“ helfen Ihnen, Treiber dafür zu werden. |
2. | HR muss eine Entrepreneurshipkultur umsetzen: Innovationen entstehen immer weniger aus der Mitte des Unternehmens, sondern an der Peripherie. Strukturen und eine Geisteshaltung zur Öffnung des Unternehmens in Richtung neuer Ausgründungen gilt es zu schaffen und zu fördern. Partnering, Incubation, Intrapreneurship oder Innovationfonds für neue Ideen sind zukünftige Kernaufgabe in HR. |
3. | HR muss Enabler für eine agile Transformation werden: Die Dynamik von Transformationen wird weiter zunehmen. Die Skills und die Methoden müssen es auch. HR kann sich nur als Enabler dafür positionieren, wenn sie selbst agile Methoden kennt, nutzt und ihren Kunden zur Verfügung stellt. Jams, Prognosemärkte, Innovation-Slams, Barcamps sind zukünftig Formate, die in keiner Transformation fehlen dürfen, wo die Schnittstelle Mensch zu Mensch im Vordergrund steht und Sie Betroffene zu Beteiligten machen wollen. |
4. | HR muss eine Innovationskultur verankern: Auch im 21. Jahrhundert sind Ideen immer noch die Ideen von Menschen. Von kreativen Einzelerfindern oder von perfekt agierenden Teams. Innovationen entstehen nur bei einer entsprechenden Kultur, mit dafür vorgesehenen Leadershipskills, Work & Life & Innovation(WLF)-Modellen, dedizierten Innovationsbudgets, schnellen Entscheidungsprozessen, Innovation-Labs sowie modernen Arbeitsplatzstrukturen. |
Fazit:
HR sollte das Innovator’s Dilemma wahrnehmen, als Chance begreifen und sich darin neu erfinden. //