Der Gesetzgeber muss vorausschauend agieren, um die Digitalisierung der Arbeitswelt in die richtigen Bahnen zu lenken.
„Ich glaube an das Pferd; das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ Auch wenn man nicht weiß, ob Kaiser Wilhelm II. diesen Ausspruch jemals gemacht hat, steht er für das Ignorieren fundamentaler Veränderungen, die durch technologische Innovationen ausgelöst werden – in diesem Fall im Hinblick auf die Mobilität. Regierungen sind also gut beraten, die Folgen solch technologischer Veränderungen auf die Gesellschaft zu bedenken und vorausschauend zu handeln. Stichwort Arbeiten 4.0: Das Schlagwort steht für die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Welche Änderungen in der Arbeitswelt stehen also durch die Digitalisierung an? Überwiegen die Vorteile für den Arbeitnehmer – zum Beispiel gewonnene Freiheit, etwa dadurch, dass man vom Ort seiner Wahl aus arbeiten kann? Oder sind die Nachteile gravierender? Verlust an Privatsphäre, Selbstausbeutung, Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf den Arbeitnehmer? Und wie kann die Politik gestaltend eingreifen, um etwaige Nachteile zu begrenzen? Angesichts dieser und vieler anderer Fragen, die sich durch die technologischen Veränderungen stellen, hat die Bundesregierung, in diesem Fall das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), im April 2015 einen eineinhalbjährigen Dialogprozess mit sogenannten Stakeholdern, also gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Bürgern, ins Leben gerufen. Zu den Aktionen der Bundesregierung im Rahmen des Dialogprozesses zählten u. a. eine Auftaktkonferenz, ein Grünbuch, das den Ausgangspunkt des Ministeriums beschreiben sollte, ein Filmfest zur Zukunft der Arbeit in 32 Kinos, ein Fachdialog mit Experten aus Unternehmen, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Sozialverbänden, ein Bürgerdialog, eine Abschlusskonferenz und das Weißbuch mit den Ergebnissen des Dialogprozesses. Die Bundesregierung reagierte damit auf Kritik unter anderem von internationalen Wissenschaftlern, die vor allem die Gefahren für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerrechte sahen. Eine Studie aus dem Jahr 2011 sieht massive Gefahren für eben diese Arbeitnehmer.(1) In ihrer Rede zur Abschlusskonferenz betonte Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) die Notwendigkeit eines „neuen sozialen Kompromisses (…), der Arbeitgebern wie Arbeitnehmern nützt. Etwa indem wir gemeinsam mit den Sozialpartnern Wege finden, wie Beschäftigte ihre jeweiligen Arbeitszeitwünsche auch umsetzen können.“(2)
Berufs- und Arbeitgeberwechsel werden weiter an Bedeutung gewinnen.
Erwerbstätigenkonto zur Qualifizierung
Zu den Vorschlägen des Weißbuchs zählt bspw. die Gründung eines Erwerbstätigenkontos für junge Erwerbstätige. Die Idee dahinter: Berufs- und Arbeitgeberwechsel werden weiter an Bedeutung gewinnen. Mit dem Erwerbstätigenkonto sollen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Qualifizierungen und Unternehmensgründungen zu erleichtern. Außerdem soll die Arbeitslosenversicherung schrittweise zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickelt werden, um „mehr präventive Unterstützung für Beschäftigung zu ermöglichen“. Als Perspektive soll ein Recht auf Weiterbildung verankert werden. Mit einem Wahlarbeitszeitgesetz sollen Beschäftigte mehr Wahloptionen für die Arbeitszeit und den Arbeitsort erhalten. Neben den physischen sollen auch die psychischen Belastungen der Arbeit stärker berücksichtigt werden. Dies soll mithilfe der Weiterentwicklung der Arbeitsschutzinstrumente zu einem Arbeitsschutz 4.0 geschehen. Da nach Auffassung der Bundesregierung „die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Arbeit verschwimmen“, wird die Forderung erhoben, dass Selbstständige ebenso wie abhängig Beschäftigte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Die damit verbundenen Beitragsbelastungen müssten „zusammen mit Aufwendungen in anderen Sozialversicherungssystemen bewertet werden, insbesondere der gesetzlichen Krankenversicherung“. Neben der Stärkung von Tarifpartnerschaften und -bindungen sowie der Gründung von Betriebsräten durch allerdings nicht konkret formulierte Instrumente fordert das Weißbuch eine „neue ressortübergreifende Innovations-, Forschungs- und Transferstrategie ‚Arbeiten 4.0‘“. Die Reaktionen auf das Weißbuch waren unterschiedlich: Während der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer vor neuen finanziellen Belastungen warnte, forderten Gewerkschaftsfunktionäre wie der DGB-Chef Reiner Hoffmann und Verdi-Chef Frank Bsirske die zügige Umsetzung der Konzepte. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Karl Schiewerling, erklärte, es sei gut, „wenn die Tarifpartner die Flexibilität bekommen, die Arbeitszeit anzupassen“.(3)
- (1) Colàs, N.: Fundamental Rights of Workers in the Digital Age: A Methodological Approach From a Case Study. http://csdle.lex.unict.it/docs/workingpapers/Fundamental-Rights-of-workers-in-the-Digital-Age-A-methodological-approach-from-a-case-study-/2346.aspx, abgerufen am 7.8.2017 (englisch).
- (2) Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles auf der Abschlusskonferenz am 29.11.2016.
- (3) Wirtschaftswoche vom 29.11.2016.