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Die Duale Ausbildung braucht eine Imagepolitur: Mehr Fokus auf den Entwicklungspfad

von Heidi Becker

Sie gilt als das Rückgrat unserer Wirtschaft und erntet regelmäßig neidische Blicke aus dem Ausland: Die Duale Ausbildung made in Germany. Auch um die niedrige Jugendarbeitslosenquote von 6 Prozent werden wir von anderen Nationen beneidet. Zum Vergleich: In Spanien sind 40 Prozent der erwerbsfähigen 15- bis 24-Järigen arbeitslos; der EU-Durchschnitt liegt bei rund 17 Prozent. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass andere Länder die Duale Ausbildung nach deutschem Vorbild eingeführt haben bzw. dies beabsichtigen. Im Gegensatz zu einem direkten Berufseinstieg nach der Schule mit Training on the Job oder zu einer rein schulischen Ausbildung, wie es in anderen Ländern durchaus üblich ist, besticht die Duale Ausbildung vor allem durch ihren hohen Praxisbezug und das sukzessive Hineinwachsen in den Beruf, begleitet von der Grundlagenbildung in der Berufsschule. In Österreich, der Schweiz, Dänemark, den Niederlanden und Südtirol (Italien) hat die Duale Ausbildung bereits Einzug gehalten; außerhalb Europas gibt es Ansätze in China, Costa Rica, Ghana, Indien, Mexiko, Russland, Südafrika, im Iran sowie in den USA.

Doch welchen Stellenwert hat die duale Berufsausbildung eigentlich bei uns in Deutschland? Werfen wir einen Blick auf die Arbeitsmarkt-Statistik 2019: Im letzten Jahr wurden rund 130 Tsd. Helfer (z. B. Helferberufe und Anlerntätigkeiten), 500 Tsd. Fachkräfte (mit abgeschlossener Berufsausbildung), 66 Tsd. Spezialisten (z. B. Meister oder Techniker) und 63 Tsd. Experten (z. B. Studienberufe) gesucht. Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung sind also stark nachgefragt. Dennoch entscheidet sich über die Hälfte eines Jahrgangs (unter den Abiturienten sind es sogar drei Viertel) für ein Studium. Höheres Ansehen in der Gesellschaft, bessere Karrierechancen, mehr Geld – die Gründe für die Akademisierung sind vielfältig.

Doch nicht für jeden ist ein Studium die richtige Wahl – so bricht fast jeder dritte Studierende wieder ab. Häufige Motive für den Studienabbruch: Zu theorielastig, zu wenig Bezug zum Beruf, zu wenig Praxis. Genau diesen Wunsch nach mehr Praxisnähe erfüllt die Duale Ausbildung. Und sie ist längst keine Einbahnstraße: Nach der Ausbildung gibt es viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln und sich für Spezialisten-Stellen zu qualifizieren, beispielsweise durch Weiterbildungen, Fortbildungen oder ein berufsbegleitendes Bachelor-Studium.

Hier muss dringend umgedacht werden: Unternehmen, die neue Nachwuchskräfte suchen, können ihren Beitrag zum Umdenken leisten, indem sie nicht nur ihre Ausbildungsgänge bewerben, sondern vielmehr die Entwicklungspfade, die das Unternehmen ihnen bietet. Genau das ist es nämlich, was junge Menschen suchen: Sicherheit und Perspektive. Gerade in den unruhigen Zeiten, in denen wir leben, ist es für Unternehmen enorm wichtig, auf diese Bedürfnisse einzugehen. Betriebe, denen dies gelingt, gewinnen nicht nur motivierte Azubis, sondern loyale Nachwuchskräfte, die sie zu den Spezialisten weiterentwickeln können, die sie für den Erfolg ihres Unternehmens benötigen.

Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung

Um die Wertigkeit von Bildungsabschlüssen sichtbarer und vergleichbarer zu machen, definiert der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) acht Qualifikationsniveaus. So sind beispielsweise der akademische Bachelorabschluss als auch Meister, Fachwirte und andere Aufstiegsfortbildungsabschlüsse dem Niveau 6 zugeordnet. Um diese Gleichwertigkeit noch stärker auszudrücken, wurde Anfang 2020 die Berufsbezeichnung „Bachelor Professional“ eingeführt. Ein Tischlermeister darf sich demnach auch „Bachelor Professional im Tischlerhandwerk“ nennen.

2.
10 Unternehmens-Tipps für den Weg zu neuen Fachkräften

  1. Zunächst sollten sich Recruiter mit der jugendlichen Zielgruppe beschäftigen. Wie tickt die junge Generation? Welche Sorgen, Zukunftswünsche und Bedürfnisse hat sie? Wie ist ihr Medienverhalten? Bei der Beantwortung dieser und weiterer Fragen sind Jugendstudien eine gute Hilfe.
  2. Entsprechend des Medienverhaltens sollten dann passende Kanäle gewählt werden, um die Zielgruppe zu erreichen: Unternehmenswebsite, ggf. separate Karrierewebseite, Ausbildungsportale, Social Media, Werbung im öffentlichen Raum uvm. Auch Jobmessen, Tage der offenen Tür und andere Veranstaltungen sind Möglichkeiten, um auf sich als Ausbildungsbetrieb aufmerksam zu machen und einen Erstkontakt zu potentiellen neuen Azubis herzustellen.
  3. Beim Übergang Schule-Berufe spielen Eltern, Freunde und Lehrer eine wichtige Rolle. Sie sind sozusagen die „Influencer“ der Jugendlichen. Leider werden die beruflichen Chancen, die junge Menschen heute mit einer Ausbildung haben, oftmals verkannt. Beim Ausbildungsmarketing kann es daher sinnvoll sein, auch diese Zielgruppen mit anzusprechen und Angebote wie Schulveranstaltungen und Eltern-Informationstage zu machen.
  4. Ist der Erstkontakt hergestellt, geht es darum, weiteres Interesse für den Ausbildungsberuf und den Betrieb zu wecken. Ideal sind Praktika und Probearbeitstage, die Beruf und Betrieb für die jungen Menschen erlebbar machen. In der Kommunikation mit potentiellen neuen Azubis können Ausbilder vor allem mit Offenheit, Ehrlichkeit und Authentizität punkten. So sollten Stellenanzeigen wichtige Fragen der Interessenten unverblümt beantworten: Was macht das Unternehmen? Wofür steht es? Welche Aufgaben übernimmt man? Wie ist die Ausbildung organisiert? Wie hoch ist die Ausbildungsvergütung? Welche Mitarbeitervorteile werden geboten? Wie kann es nach der Ausbildung weitergehen? Welche Voraussetzungen sollten Bewerber mitbringen? Achtung: Zu viele und zu hohe Anforderungen können schnell abschreckend wirken – hier kann es sich für Recruiter durchaus lohnen, das Anforderungsprofil zu überdenken.
  5. Sich beim Unternehmen seiner Wahl um einen Ausbildungsplatz zu bewerben, muss für junge Menschen einfach und unkompliziert sein. Hier sollten Recruiter schauen, welche Bewerbungswege sie anbieten. Neben der Bewerbung per E-Mail oder Online-Formular können sie auch zu neueren Methoden wie der Bewerbung ohne Anschreiben, per WhatsApp oder per Video greifen. Wichtig ist, dass der Bewerbungsweg zur Zielgruppe und zum angestrebten Beruf passt. Ergänzend dazu können Recruiter in Bewerberdatenbanken nach geeigneten Azubis recherchieren und diese direkt kontaktieren.
  6. Nach Vertragsabschluss geht es darum, bis zum Beginn der Ausbildung in Kontakt zu bleiben – in den meisten Fällen sind dies mehrere Monate. Indem Ausbilder diese Zeit des Preboardings aktiv gestalten, können sie ein kurzfristiges Abspringen des zukünftigen Azubis verhindern.
  7. Auch der Onboarding-Prozess, sprich die betriebliche Integration des Auszubildenen, sollte professionell organisiert sein, sodass sich die Neulinge willkommen fühlen und sich schnell zurecht finden. Eine besondere Bedeutung – nicht nur in der Probezeit, sondern während der gesamten Ausbildungszeit – haben für die jungen Menschen Feedbackgespräche mit ihrem Ausbilder zur eigenen Standortbestimmung.
  8. Um langfristig erfolgreich zu sein, sollten Ausbildungsbetriebe die Qualität ihrer Ausbildungsarbeit regelmäßig evaluieren und sich vor Augen führen, welche Faktoren neben Azubimarketing, Preboarding, Onboarding und Feedbackkultur zu einer erfolgreichen Berufsausbildung beitragen. In diese Erfolgsfaktoren können Ausbildungsbetriebe dann gezielt investieren.
  9. Junge Menschen wünschen sich Sicherheit und Perspektive. Auf dieses Bedürfnis können Ausbilder eingehen, indem sie früh und konkret über die Übernahme nach der Ausbildung sprechen. Als guter Zeitpunkt für das Übernahmegespräch gilt der Beginn des letzten Ausbildungsjahres.
  10. Neben der Jobsicherheit sind gute Aufstiegschancen ebenfalls von Bedeutung für die junge Generation. Wie geht es nach der Übernahme weiter? Unternehmen, die hier Angebote machen und unterstützen, wie beispielsweise bei einem berufsbegleitenden Studium oder einer Aufstiegsfortbildung zum Meister, Techniker o. ä., gewinnen dadurch qualifizierte und loyale Mitarbeiter.

Über die Autorin

Quellen:

https://www.testsysteme.de/studie, abgerufen am 26.11.2020

https://www.aubi-plus.de/downloads/flyer/die-perfekte-stellenausschreibung-in-11-schritten.pdf, abgerufen am 26.11.2020

Chantal Kuschnereit: So geht Azubi-Bindung! Neue Auszubildende mit geplantem Onboarding erfolgreich ins Unternehmen integrieren und langfristig binden, 2020

Dorothea Piening, Dieter Sicking: Qualitätsreport Ausbildung, 2020

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/, abgerufen am 20.11.2020

https://www.goethe.de/de/kul/ges/20368521.html, abgerufen am 26.11.2020

https://www.bmbf.de/de/duales-ausbildungssystem-weltweit-gefragt-328.html, abgerufen am 26.11.2020

https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Grundlagen/Methodik-Qualitaet/Methodische-Hinweise/uebergreifend-MethHinweise/Anforderungsniveau-Berufe, abgerufen am 20.11.2020

https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201912/ama/heft-arbeitsmarkt/arbeitsmarkt-d-0-201912-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=2, abgerufen am 20.11.2020

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/72005/umfrage/entwicklung-der-studienanfaengerquote/#:~:text=Im%20Studienjahr%202019%20lag%20die,der%20Bev%C3%B6lkerung%20des%20entsprechenden%20Geburtsjahres, abgerufen am 20.11.2020

https://www.dqr.de/content/60.php, abgerufen am23.11.2020

https://www.dqr.de/media/content/DQR_Handbuch_01_08_2013.pdf, abgerufen am 23.11.2020