Veränderungsfähigkeit als Unternehmenshaltung

Vor dem Hintergrund permanenter Veränderungen in der Arbeitswelt 4.0 gewinnt Veränderungsfähigkeit an Relevanz.

In einem nie gekannten Tempo wandeln sich heute Rahmenbedingungen für Unternehmen aller Branchen. Treiber wie die Digitalisierung, der demografische Wandel, die Globalisierung, kurzlebige Wissenshalbwert­zeiten und sich schnell ändernde Kundenerwartungen stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität von Organisationen und Mitarbeitern. Bestehende Strukturen, Praktiken und sogar Denkweisen werden radikal infrage gestellt. Neues wird entwickelt, Bewährtes in eine zeitgemäßere Form übersetzt, Anderes direkt ad acta gelegt. Was gestern galt, ist heute oft schon überholt. Und morgen, übermorgen? Wenn Veränderungen nicht mehr einen temporären Prozess darstellen, um schließlich in einen geregelten Normalzustand zu münden, sondern alles permanent in Bewegung ist, was passiert dann mit dem Menschen? Wie gelingt ein gesunder Umgang mit Veränderung „nonstop“? Und wie schaffen es Unternehmen, Schritt zu halten?

Permanente Veränderungen – stete Begleiter im Arbeitsalltag

Das Phänomen der dynamischen Veränderungen der Arbeitswelt macht es für Unternehmen herausfordernder als bisher, die Gesundheit und auch die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu sichern. Wollen Unternehmen auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie aber lernen, auch diese (vermeintlich weichen) Handlungsfelder strategisch zu managen. Woran es Unternehmen in der heutigen Arbeitswelt häufig mangelt, sind nicht Anleitungen für das Gelingen von Changeprozessen, sondern es ist vielmehr eine adäquate Haltung. Ein Selbstverständnis, welches es der Organisation und dem einzelnen Mitarbeiter ermöglicht, bewegte Zeiten als Normalzustand anzuerkennen.

Das Skillset für die bewegte Arbeitswelt enthält notwendigerweise die Fähigkeit, flexibel zu bleiben. Das gilt für den einzelnen Mitarbeiter, für ganze Teams wie auch für das Unternehmen in seinen Strukturen und Prozessen. Um dies plastisch zu machen, stelle man sich eine schwankende Plattform vor, die für die Arbeitswelt 4.0 steht. Jeder der Akteure (Mitarbeiter, Team, Unternehmen) befindet sich auf einer solchen und ist fortwährend damit beschäftigt, die Balance zu halten. Dieses Ausbalancieren findet neben der Erledigung der eigentlichen Arbeit, dem Tagesgeschäft, statt und erfordert zusätzliche Energie, Kraft und Konzentration. Mal ist das Arbeitsumfeld stärkeren Schwingungen, also Veränderungen, unterworfen, mal weniger starken. Dabei nicht die Balance zu verlieren und, selbst wenn, wieder aufzustehen, handlungsfähig und gesund zu bleiben, muss der Anspruch sein.
Als Dienstleister im Betrieblichen Gesundheits- und Leistungsfähigkeitsmanagement begleiten wir seit über vier Jahrzehnten die Veränderungen in der Arbeitswelt, ihre Herausforderungen und ihre Auswirkungen auf Mensch und Organisation. Folgende drei zentrale Fragestellungen beschäftigen uns vor dem geschilderten Kontext besonders intensiv:

  • Wie kann es gelingen, Mitarbeiter, Teams und ganze Organisationen im permanenten Strom der Veränderungen und teils widersprüchlichen Erwartungen zugleich flexibel und stabil zu halten?
  • Wie lassen sich Mitarbeiter und Führungskräfte in der Schnelllebigkeit, Offenheit und Komplexität der Entwicklungen hinreichend orientieren und motivieren?
  • Wie lassen sich Mitarbeiter, Teams und ganze Organisationen zu höherer Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Stressresistenz befähigen?

Der Begriff „Resilienz“, der häufig in diesem Zusammenhang fällt, gewinnt hierbei nicht nur eine neue Aktualität – auch seine Bedeutungsinhalte werden vielschichtiger. Resilienz meint nicht, „immer mehr“ aus- oder durchhalten zu müssen. Vielmehr sollte sich der Ansatz im Resilienzkonzept weniger an vorhandenen Defiziten orientieren, sondern intensiv die verfügbaren Ressourcen betrachten. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir die Faktoren, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit erhalten und unterstützen – und dies auf drei Ebenen. Wird Resilienz auf der personalen, interaktionalen und organisationalen Ebene konzipiert, kann ein gesunder Umgang mit permanenten Veränderungen für Mitarbeiter, Teams und Organisationen gelingen.


Resilienz

Resilienz kommt vom lat. resilire: zurückspringen, zurückfedern, abprallen. Als Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen und Organisationen bezeichnet, mit mehrdeutigen, unsicheren und komplexen Situationen, Hindernissen, Krisen und Veränderungen erfolgreich umzugehen.


Personale Ebene der Resilienz

Dreh- und Angelpunkt ist der (arbeitende) Mensch. Mitarbeiter und Führungskräfte stehen gleichermaßen vor der Herausforderung, mit den permanenten Veränderungen konstruktiv umzugehen. Ziel sollte sein, dass es dem Einzelnen gelingt, souverän mit Veränderungen und Unwägbarkeiten umzugehen, Rückschläge schnell zu verkraften, unter Druck und inmitten von Turbulenzen gelassen und handlungsfähig zu bleiben, sich an dynamische Rahmenbedingungen und Situationen anzupassen und diese aktiv mitzugestalten. Was er hierfür braucht, sind innere Stärke, Resilienz und Widerstandskraft – zusammengefasst als „Veränderungsfähigkeit“. Als Handlungsfeld im Rahmen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements und dem Management von Leistungs­fähigkeit kommt dem Aspekt Veränderungsfähigkeit damit eine besonders hohe Priorität bei.

Nicht jedem ist die Fähigkeit zur Veränderung gleichermaßen gegeben. Sie muss – und kann – erlernt werden. Die Basis hierfür schaffen konkrete betriebliche Angebote in Form von Coaching- und Schulungsformaten für Führungskräfte und Mitarbeiter. Zugleich muss Veränderungsfähigkeit von allen Beteiligten offen als Teil der Unternehmenskultur und -haltung erfahren werden können.

Organisationale Ebene der Resilienz

Veränderungsfähigkeit oder auch Wandlungsfähigkeit ist im Wettbewerb der Innovationen auch eine Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit von Unternehmen. Mit der Einführung neuer Technologien passen sich Strukturen und Prozesse keineswegs automatisch an. Um ganze Organisationen, Teams und Mitarbeiter für Veränderungen auf allen Ebenen fit zu machen, sollte intensiv an strukturellen Rahmenbedingungen sowie vor allem an der Organisationskultur gearbeitet werden. Eine Kultur, die Flexibilitätskompromisse und die Berücksichtigung pluraler Wertewelten umfasst, und Strukturen, die den Mitarbeitern flexibles Handeln ermöglichen, schaffen die erforderlichen Voraussetzungen für den Umgang mit permanenten Veränderungen.

Interaktionale Ebene der Resilienz

Organisationale Resilienz entsteht überwiegend als Resultat aus dem erfolgreichen Zusammenwirken der in der Organisation handelnden Individuen, d. h. der Mitarbeiter und der Führungskräfte aller Ebenen. Die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, Führungskraft und Team sowie innerhalb von Teams lässt sich also als in hohem Maße erfolgskritisch beschreiben. Die Art und Weise, wie die Akteure und Teams aufeinander einwirken und zusammenwirken, sind wesentlich für die erfolgreiche Transformation von individueller Resilienz in organisationale Resilienz und Leistungsvermögen.

Folgende Merkmale resilienter Teams beschreiben die Ziele, die unternehmensseitig systematisch entwickelt und gefördert werden sollten. Auf Basis dieser Ziele sind kontextbezogen und unternehmensspezifisch konkrete Maßnahmen zu konzipieren.
Merkmale resilienter Teams:

  • Wechselseitige Unterstützung und Hilfe
  • Positive, offene und bewusste Interaktion zwischen den Teammitgliedern
  • Offener Umgang mit Missverständnissen und Fehlern
  • Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen
  • Wertschätzender und anerkennender Umgang miteinander
  • Offenheit und positive Erwartungshaltung sowie Neugierde des Einzelnen
  • Konstruktives Feedback und wechselseitiges voneinander Lernen
  • Aus kritischen Situationen lernen und diese Problemlösungskompetenzen und Wirksamkeitserfahrungen für die Weiterentwicklung des Teams nutzen

„Veränderungskarussell“

80 Prozent der Mitarbeiter und Führungskräfte erleben gegenwärtig einen starken Veränderungsdruck in ihrem Arbeitsumfeld; 90 Prozent erwarten diesen in den kommenden fünf Jahren. Dies ergab eine aktuelle Studie der ias-Gruppe.
Weitere Ergebnisse der Studie unter:
https://www.ias-gruppe.de/special-arbeitswelt-40.html


Führungskräfte haben eine Doppelrolle, indem sie einerseits den Teamprozess im Rahmen der operativen Leistungserbringung hin zur Leistungsoptimierung moderieren und steuern müssen und andererseits als Individuen die Beanspruchung der eigenen Resilienz selbst managen müssen. Im Hinblick auf die möglichst „verlustfreie“ Anpassung an sich wandelnde Aufbau- und Ablauforganisationen, Führungs- und Kommunikationsformen und kulturelle Veränderungen, ist die positiv gestärkte (Ver)bindung von Menschen im Unternehmen der alles entscheidende Erfolgsfaktor.

von Thomas Schneberger