Betriebliche Gesundheit und ihr Management

Die Mitarbeitergesundheit lässt sich nur verbessern, wenn ein Bewusstsein dafür fest in der Unternehmenskultur verankert wird.

Der vorliegende Beitrag beschreibt Betriebliches Gesundheitsmanagement als mehrdimensionalen Lern- und Entwicklungsprozess. Gestiegene Komplexität und Veränderungsdynamik in Organisationen, Märkten und Arbeitsprozessen erhöhen den psychischen Druck und Stress für Mitarbeiter und Führungskräfte.
Organisationen benötigen neue Wege zur Erhaltung und Förderung gesunder Arbeit, die über bekannte Stressbewältigungsangebote weit hinausgehen. Die Lern- und Entwicklungsdimensionen einer Systemkompetenz Gesundheit werden aufgezeigt und mit Praxisbeispielen veranschaulicht.

Kernaufgaben betrieblichen Gesundheitsmanagements

Entscheidende Grundfragen zum Thema Arbeit und Gesundheit wurden bereits zu Zeiten der Humanisierungsbewegungen der 1970er-Jahre gestellt:

  • Wie bleiben Mitarbeiter bei anhaltend hohen Anforderungen und Belastungen gesund?
  • Welche kulturellen Grundlagen benötigt eine „gesunde Organisation“ und wie kann sie dauerhaft vitalisiert werden?
  • Wie gestalten Unternehmen die Wechselwirkung zwischen Person und Organisation als „gesundes“ System?

Gesetzliche Grundlagen

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) entstammt traditionell dem betrieblichen Arbeitsschutz und seinen gesetzlichen Grundlagen (§ 5 ArbSchG)(1). Präventive Ansätze ergänzen seit den 1980er-Jahren das Verständnis der Kern-Aufgaben (WHO-Ottawa-Charta 1986).(2)
Krankheitsfördernde biologische, chemische und physikalische Einwirkungen auf Menschen wurden auf Basis normativer Standards wirksam eingedämmt. Gefährdungsbeurteilungen im Unternehmen verweisen auf Gefahren und wirksame Schutzmaßnahmen.
Der Gesetzgeber integrierte 2013 die Psyche als Bereich der Beschäftigtengesundheit (§ 4 ArbSchG)(3) und reagierte auf die starke Zunahme psychischer Erkrankungen von Mitarbeitern. Phänomene wie Burn-out, Depression und innere Kündigung sind heute in der öffentlichen Diskussion präsent und massenmedial aufbereitet.

Mit dem 2015 in Deutschland verabschiedeten Gesetz zur Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung (PrävG) richtet die Bundesregierung zunehmend den Fokus auf den Aufbau von Strukturen zur Gesundheitsförderung, statt vorrangig Stress zu bekämpfen.
Darüber hinaus wurden Qualitätsstandards für die Zertifizierung des betrieblichen Gesundheitsmanagements entwickelt. Neben dem „Social Capital & Occupational Health Standard“ (SCOHS) ist hier vor allem der darauf basierende erste offizielle Standard DIN SPEC 91020 zu nennen.

„Verhaltens“prävention

Der Blick in den Unternehmen richtet sich gegenwärtig auf fordernde und stressauslösende Folgen von Arbeitsverdichtung, Beschleunigung, Umstrukturierung, Digitalisierung und Fusionen für die Beschäftigen.

Aktuell wird eine Vielzahl an individuellen Maßnahmen angeboten: Gutscheine für Fitnessstudios, Obstschalen in Gemeinschaftsräumen, Seminare zum Umgang mit Stress und psychosoziale Beratung durch externe Gesundheitsdienstleister. Sie sensibilisieren Mitarbeiter für ihr Verhalten in der Lebensführung. Bisweilen schaut auch ein Physiotherapeut vorbei und aktiviert den verspannten „Bildschirmnacken“. Diese Maßnahmen bezeichnet die Fachwelt als „Verhaltensprävention“.

Doch isolierte Einzelmaßnahmen sind als unzureichend zu erachten. Empirische Studien weisen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Führungsverhalten, Unternehmenskultur und Veränderungsdynamik und der Gesundheit von Mitarbeitern und Führungskräften aus.(4,5,6)
Um diesen Entwicklungen wirkungsvoll zu begegnen, benötigen Unternehmen intensive Lernprozesse, die über individuelle Stressbewältigung weit hinausreichen.

Grundverständnis von Gesundheit im Unternehmenskontext

Gesundheit ist kein Gegenstand, dem mit isolierten Maßnahmen beizukommen ist. Gesundheit und Krankheit ist ein Prozess, der von physischen, psychischen und sozialen Ebenen beeinflusst wird. Der Umgang mit diesen Phänomenen lässt sich nicht auf Ort und Zeit mit eindeutig bestimmbaren Einflüssen begrenzen.

Für Unternehmen ist der Anspruch zu formulieren, Gesundheit als Perspektive auf alle Leistungs- und Wertschöpfungsprozesse zu richten. Für die Praxis gilt demnach, nicht nur im System zu arbeiten, sondern zugleich am System. Dies bedeutet, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte ihre Potenziale entfalten und Leistungsbeanspruchungen steuern können. Anders gesprochen: Gesundheitskultur ist ein Teil der Wirtschaftskultur.

Es gilt, Gesundheit nicht als eigenständigen Bereich zu verantworten und neue aufwendige Zusatz„bühnen“ zu errichten, sondern in der Steuerung der Leistungsprozesse Gesundheit als basale Dimension einzubeziehen.


„Theater-Metapher“

Die Theater-Metapher als wirksames Bild für gekonnte „Inszenierungen“ illustriert den Zusammenhang: Sie können Schauspieler hervorragend ausbilden (Einzelmaßnahmen), die Fähigkeit aber zu gekonnter Darstellung ist abhängig von der Qualität des Drehbuches (Arbeitsbedingungen). Für Verantwortliche im Unternehmen bedeutet das: Sie müssen die Drehbücher und Bühnen für die Inszenierung „Gesundheit“ in ihrem Unternehmen entsprechend verändern. Sonst verblasst die Kunst ihrer Mitarbeiter!


Gesundheit als „Systemqualität“ des Unternehmens

Maßnahmen, die die Arbeitsbedingungen betrachten, werden unter dem Begriff „Verhältnisprävention“ zusammengefasst. Darunter verstanden wird der Einfluss verschiedener Merkmale wie Arbeitsplatzgestaltung, Zeitrahmen, Gestaltungsmöglichkeiten und Kulturerfahrungen auf alle Mitarbeiter. Die Entwicklung dieser organisationalen Arbeitsbedingungen erfordert neben personalen und sozialen Fähigkeiten zugleich System-Kompetenzen. Gemeint ist die Fähigkeit, Auswirkungen von Strukturen, Kommunikation und Spielregeln differenziert zu reflektieren und aktiv zu gestalten.
Wirksame Entwicklung gesundheitserhaltender und -förderlicher Arbeit benötigt somit Investitionen in personale, soziale und systemische Kompetenzen.

Definition Gesundheit im Unternehmen

„Psychische Gesundheit im Unternehmen ist dann gegeben, wenn ein Mensch seinen Beruf und seine Funktionen in dieser Organisation so ausfüllen kann, dass er seine Leistungen in der Regel ohne anhaltenden Stress erbringen kann. Dies geschieht ohne länger andauernde Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Funktionierens und Wohlbefindens und ohne dass Raubbau an seinem Privatleben oder an seiner altersgemäßen Entwicklung betrieben wird.“ (Schmid, Veith)